Das bequeme Feindbild Islam
Beim pädagogischen Fachtag „Antimuslimischer Rassismus“ beleuchtete Prof. Wolfgang Benz die Struktur von Vorurteilen
Anti-Islam-Hetze befriedigt Sehnsüchte nach „schlichter Welterklärung“ ganz ähnlich wie früher der Antisemitismus: Das ist eine Kernthese von Prof. Wolfgang Benz, der gestern bei einem pädagogischen Fachtag im Waiblinger Kulturhaus Schwanen referierte – Thema der Veranstaltung: „Antimuslimischer Rassismus“.
10 000 Menschen in Dresden bei einer Demonstration der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“: Aggressiv antimuslimischer Alarmismus ist der Hetztrend der Stunde, Rechtsextremisten finden dabei zu verblüffenden Koalitionen mit gutbürgerlichen Apokalyptikern: Insofern sind die Fachstelle Rechtsextremismus des Kreisjugendamtes und der Kreisjugendring hoch zu loben – sie haben eine sensible Nase für üble Zeitgeistdünste bewiesen, als sie schon vor mehr als einem halben Jahr begannen, diesen Fachtag für Pädagogen zu konzipieren. Als Hauptredner haben sie einen der profiliertesten Vorurteilsforscher der Republik gewonnen.
„Wie geht die Mehrheitsgesellschaft mit Minderheiten um? Welchen Nutzen hat die Mehrheit dadurch, dass sie Minderheiten diskriminiert?“ Das sind Leitfragen in der wissenschaftlichen Arbeit von Wolfgang Benz. Seine Antwort: Zerrbilder über Minderheiten zu zeichnen, „dient der Selbstvergewisserung der Mehrheit“, gerade in komplizierten Zeiten gesellschaftlichen Wandels, wenn Desorientierung und „Überfremdungsängste“ grassieren. Eine Minderheit abzustempeln als „von ihrer Konstitution her“ grundsätzlich „kriminell, asozial, aggressiv“, lindert „politische und soziale Frustrationen“ und „hebt das Selbstbild“.
Dieser Mechanismus habe „sozialpsychologisch eine lange Tradition“, die dabei typischerweise waltenden „Konstruktionsprinzipien“ befriedigen „Sehnsüchte nach schlichter Welterklärung“ – Licht gegen Dunkel, Gut gegen Böse, das „Eigene“ gegen das „Fremde“, „Wir“ gegen die „Anderen“ – und wachsen sich regelmäßig zu „Verschwörungstheorien“ aus.
Was die Islam-Kritik und der Antisemitismus gemeinsam haben
Um dieses quer durch die Geschichte wirkende Strukturmuster zu erläutern, wählt Benz eine zunächst überraschende, aber stringent durchargumentierte Analogie: Viele Motive der heutigen Islam-Kritik ähneln auffällig rhetorischen Figuren des Antisemitismus im 19. Jahrhundert.
„Die Juden haben zu viel Einfluss in der Finanzwelt, der Kultur, den Zeitungen oder sonst wo, wahrscheinlich überall“ – das war seinerzeit ein geläufiger Verdacht. „Ähnliche Stereotypen“ bedienen heute selbst ernannte Islam-Kritiker wie Udo Ulfkotte, der in seinen Schriften ein „düsteres Gemälde“ von der angeblich „bevorstehenden muslimischen Weltrevolution“ malt.
Als „Beweis“ für die jüdische Weltverschwörung beriefen sich Antisemiten auf die „Protokolle der Weisen von Zion“, angeblich Mitschriften geheimer Treffen, in Wahrheit krude Fälschungen – Ulfkotte raunt heute: Man wisse, dass die „Muslimbruderschaft“ einer „langfristigen Strategie zur Unterwanderung nichtmuslimischer Staaten“ folge, denn der Masterplan sei „2002 in der Schweiz“ gefunden worden.
Ein Klassiker ist Thilo Sarrazins Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ – das Buch, „gespickt mit Tabellen und Statistiken, die Seriosität imaginieren sollen“, lasse sich etwa so zusammenfassen, so Beck: „Dumme Muslime bekommen mehr Kinder als kluge Deutsche.“ Ein Sarrazin des ausgehenden 19. Jahrhunderts aber war der Schriftsteller Otto Böckler: Der Westen werde überschwemmt von zeugungsaktiven Ost-Juden, Gegenden wie Polen, Litauen und Russland seien „die große vagina iudaeorum, aus welcher die übrigen Juden Europas Auffrischung und neuen Zuwachs erhalten“.
Sarrazins Warnung vor Musliminnen, die „ständig neue kleine Kopftuchmädchen produzieren“, und Böcklers Schauder vor der jüdischen Riesen-Scheide: zwei in ihrer sexuellen Angstlust tatsächlich gruselig ähnliche Varianten, den „Untergang des Abendlandes“ zu beschwören.
Verallgemeinerungen, Gerüchte und Halbwahrheiten verschmelzen
Der Islam verdonnere seine Gläubigen förmlich zur Bosheit, deutet der Publizist Hans-Peter Raddatz an – „ein Muslim missbraucht seine Religion, wenn er Gewalt nicht anwendet“; es gehört zum Standardvokabular der Islam-Kritiker, dass der Koran angeblich in „über 60 Suren zum Mord an Andersgläubigen“ aufrufe; und ganz ähnlich wurden früher in religiösen Traktaten Juden als Brunnenvergifter, Hostienfrevler, Ritualmörder verschrien – derlei, hieß es damals, gebiete ihnen der Talmud.
11. September, Selbstmordattentate, IS-Milizen – aus solchen Fanatismen leiten die Kritiker ab, dass „die“ Muslime so seien. So verschmelzen Verallgemeinerungen, Gerüchte und Halbwahrheiten, „Horrorszenarien“, „Hörensagen“ und „blühender Unsinn“ zu „angeblichen Tatsachen“ und kompletten „Verschwörungsmythologien“.
In einer Welt, umflossen von Flüchtlingsströmen, in einer hochmobilen, totalvernetzten Moderne, die verschiedene Kulturen immer enger zusammenbindet, kann es nicht reibungsfrei zugehen. Und es ist elend kompliziert, all die Probleme auseinanderzuklamüsern in macht-, bildungs- sozial-, gesellschafts-, religions-, kultur- und zuwanderungspolitische Aspekte. „Pauschale Dämonisierung“, sagt Wolfgang Benz, ist da natürlich viel einfacher. Er plädiert dennoch für das „mühselige Unterfangen“, einander kennen und verstehen zu lernen.
Aus Waiblinger Kreiszeitung. Autor: Peter Schwarz
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