Fachgespräch „Jugendarbeit was nun?!“
Das Kreishaus der Jugendarbeit hat am vergangenen Montag Verantwortliche aus der Jugendarbeit und Jugendpolitik ins Jugendhaus Fellbach eingeladen um eine Bestandsaufnahme der Situation der Jugendarbeit im Rems-Murr-Kreis nach dem Amoklauf von Winnenden zu erarbeiten. Außerdem ging es darum, Impulse, Forderungen und Wünsche an die Politik und auch an die Jugendarbeit selbst vorzubereiten und zu formulieren.
Zunächst hatten Vertreterinnen und Vertreter der Jugendarbeit in Winnenden das Wort:
Sehr interessiert waren die Teilnehmer des Fachgesprächs an den Berichten von Petra Nonnemmacher von der Mobilen Jugendarbeit und Saskja Hornek von der Schulsozialarbeit. Sie erzählten von „ihren“ Jugendlichen und den neuen Schwerpunkten ihrer Arbeit, die durch den Amoklauf entstanden sind. Heiko Kientsch vom CVJM Winnenden berichtete von den Anforderungen und Belastungen für die Vereinsarbeit, da die Jugendlichen einen sehr großen Gesprächsbedarf hatten und teilweise immer noch haben. Ulrich Horender und Thomas Pfeifer vom städtischen Jugendamt beschrieben den langsamen und langen Weg zu einer neuen Normalität. „Es war sehr hart, aber es war wichtig für die Jugendlichen da zu sein“, beschrieben alle ihre persönliche Situation.
Viele geplante Projekte und Veranstaltungen werden – auch auf ausdrücklichen Wunsch der Jugendlichen – weiter durchgeführt. Auch das Kreisjugendamt leiste mit seinen Unterstützungsangeboten hervorragende Arbeit. Vieles kann und wird verarbeitet, so das Fazit, so dass der Blick wieder nach vorne gerichtet ist und dass ein sehr großer Zusammenhalt gespürt und erlebt wird.
Aber auch außerhalb Winnendens wurden die Haupt- und Ehrenamtlichen in der Jugendarbeit mit den Folgen des Amoklaufes konfrontiert und oftmals sehr stark in Anspruch genommen. Bei Kindern und Jugendlichen wurde überall ein sehr großer Gesprächsbedarf konstatiert, der sich natürlich mit der Zeit verringert, aber immer noch da ist. Beziehung anbieten, reden und da sein war überhaupt das wichtigste Angebot, das die Aktiven der Jugendarbeit bieten konnten.
Die Frage wurde aufgeworfen, ob unsere Gesellschaft auf manche Veränderungen nicht angemessen reagiert hat. Ob durch zunehmende Geschwindigkeit, Stress und Leistungsverdichtung das Zwischenmenschliche leidet und darunter natürlich besonders Kinder und Jugendliche. Weiter darum zu kämpfen, dass unsere Gesellschaft eine menschliche bleibt war deshalb das übergeordnete Ziel, das sich die anwesenden Fachleute setzten.
So wurden aus der Runde auch schon einige Anregungen und Forderungen formuliert und auch Problemfelder wie Alltagsgewalt (Mobbing), Mediennutzung und Umgang mit Trauer und Tod angesprochen, die es weiter zu bearbeiten gilt.
Viel Zustimmung fand auch der von KJR-Vorstand Daniel Mouratidis formulierte Wunsch, die Partizipation von Jugendlichen durch eine Senkung des Wahlalters und durch mehr Selbstverwaltungs- und Mitbestimmungsangebote auszubauen und ihnen so mehr Verantwortung zu übertragen. „Verantwortung geben heißt ernst nehmen!“ war die einhellige Meinung.
Präventive Angebote, Treffpunkte und Anlaufstellen für Jugendliche müssen dauerhaft gefördert werden. Hier spielt die Arbeit der Vereine eine sehr wichtige Rolle, wie auch die Angebote der Offene Jugendarbeit, Mobilen Jugendarbeit und Schulsozialarbeit. Sie sind wichtige Infrastruktur und müssen gestärkt und ausgebaut werden.
Bei Eltern wurde eine große Verunsicherung bei Erziehungsfragen festgestellt. Mehr Elternbildung ist deshalb eine wichtige Forderung der Teilnehmer an die Politik. Überraschend war die Idee, das Elterngeld an einen „Erziehungsführerschein“ zu koppeln, deren Machbarkeit allerdings kontrovers diskutiert wurde.
Bessere Rahmenbedingungen für Lehrer, bspw. kleinere Klassen, mehr Pädagogik in der Ausbildung wurden als Erwartungen an die Schulpolitik formuliert.
Die Vernetzung von Angeboten für Jugendliche und deren Träger und MitarbeiterInnen ist verbesserungsbedürftig.
Bei vielem was diskutiert und vorgeschlagen wurde ging es um Werte: Um den Wert des Einzelnen um den Wert der Gemeinschaft, um den Umgang von alt und jung. Werden Außenseiter eingebunden, schauen die Menschen aufeinander oder schauen sie nur nach sich selbst, haben sie Zeit füreinander, und nehmen sie einander wahr und ernst…
Der Kreisjugendring nahm deshalb als Auftrag mit, ein Konzept zu überlegen, wie Werte mit Kindern und Jugendlichen an vielen Orten in unserer Gesellschaft diskutiert und bewusst gemacht werden können.
In der Abschlussrunde warnte der Psychologe Prof. Dr. Dr. Norbert Grulke, dem ärztlichen Direktor der Luisenklink Bad Dürrheim, der dem Fachgespräch beratend zur Seite stand, sehr eindringlich vor einer Allianz des Vergessens und einer unreflektierten Rückkehr zum Alltag. Das Verdrängen von traumatischen Erlebnissen sei hochgefährlich, nur durch Beziehungsangebote, die Sicherheit bieten und die Trauer auffangen können, sei eine gute Aufarbeitung möglich.
Dies bedeutet wohl, dass sich alle, auch die Jugendarbeit, in der Nachsorge des Amoklaufs einen langen Atem braucht.
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