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Den Opfern und ihren Familien eine Bühne

Das Interview:Michael Ruf über die Hintergründe der „NSU-Monologe“ – Theaterstück ist in Sulzbach an der Murr zu erleben

Als der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen ermordete, waren die Angehörigen der Opfer nicht nur mit ihrem Leid konfrontiert, sondern wurden von Polizei und Medien auch drangsaliert. Nach Bekanntwerden der NSU-Taten 2011 und der Verurteilung einiger Täter im Juli dieses Jahres kommt die „Bühne für Menschenrechte“ nach Sulzbach. Sie bringt ihr Stück „NSU-Monologe“ mit, das von den jahrelangen Kämpfen dreier Opferfamilien erzählt. Ein Gespräch mit Autor und Regisseur Michael Ruf.

Können Sie noch mal schildern, wie es zu Ihrem Projekt kam, ein wortgetreues Theaterstück zu den NSU-Morden zu verfassen und zu inszenieren?

Uns war von Anfang an wichtig, ein Theaterstück zu entwickeln, in dem die Betroffenen zu Wort kommen und deren Perspektive geschildert wird. Das mediale Interesse hatte sich zuvor meist auf die Täter oder die Täterin konzentriert, die Namen der Opfer und Hinterbliebenen und deren Lebensgeschichten hingegen sind wenig bekannt. Wir haben den Fokus darauf gelegt, was nach den Morden passiert ist, insbesondere, wie die Angehörigen jahrelang selbst verdächtigt wurden, Täter zu sein, genauso wie auch die ermordeten Personen verdächtigt wurden, kriminell gewesen zu sein. Die Polizei hat sämtliche Hinweise, dass die Täter Rechtsextremisten sein könnten, ignoriert. Das sind unglaubliche Geschichten. Deshalb ist es wichtig und hilfreich, dokumentarisch zu arbeiten, also nichts hinzuzuerfinden und die Ausdrucksweise der betroffenen Personen beizubehalten.

In einem Interview haben Sie geschildert, dass es schwer war, Angehörige der Mordopfer, die auch Medien gegenüber bei Gesprächsanfragen zurückhaltend waren, von einer Zusammenarbeit zu überzeugen. Als deren Anwälte Ihre Arbeit auf der Bühne gesehen haben, hat sich das geändert. Was war letztlich für das gegenseitige Vertrauen ausschlaggebend?

Mehrere Punkte. Zum einen konnten wir sagen, dass durch das Projekt und das Mitwirken der Betroffenen ein Theaterstück entstehen würde, das nicht nur einige wenige Male in Berlin aufgeführt wird, sondern durch unser bundesweites Netz an Schauspielern und Musikern einige Hundert Male in den verschiedensten Kommunen. Dadurch war klar, dass sich der Aufwand um einiges mehr lohnen würde. Dann haben wir versichert, den Wortlaut der Betroffenen beizubehalten. Das war wichtig, weil sie mit der Berichterstattung nicht zufrieden waren, die vieles verfälscht hat. Wir haben drittens garantiert, dass der Text den Betroffenen und ihren Anwälten zum Gegenlesen vorgelegt wird. Und zuletzt haben besagte Anwälte unsere bisherigen Theaterstücke auf der Bühne erlebt, konnten die Konzeption beurteilen und, ich denke, sehen, wie sensibel und würdevoll die Geschichten erzählt werden.

Die NSU-Monologe erzählen die Geschichte von Elif Kubasik und Adile Simsek und dem gewaltvollen Verlust ihrer Ehemänner sowie von Ismail Yozgat und der Trauer um seinen Sohn. Sie basieren auf Interviews, Aussagen und Protokollen und sind am Donnerstag im Schloss Lautereck zu sehen. Foto: privat

Der Text basiert ja neben Protokollen auch auf Interviews, die Sie mit Angehörigen der Ermordeten – Adile Simsek und Elif Kubasik – geführt haben. Wie schwer war diese Situation für Ihre Gesprächspartnerinnen?

Für Adile Simsek und Elif Kubasik war es nicht einfach, weil natürlich emotional wieder viel hochgekommen ist. Es waren sehr intensive Stunden, da haben wir natürlich auch einige Pausen eingelegt. Dennoch ist es bemerkenswert, dass sich beide einen ganzen Tag Zeit genommen und überwunden haben, ihre und die Geschichte ihrer getöteten Ehemänner zu erzählen. Es wurden viele Lügen verbreitet, und das Stück dient auch der Rehabilitierung der Ermordeten. Beiden ist das nicht leicht gefallen, aber sie haben ihre Kraft zusammengenommen und trotz dieser Schwierigkeiten mitgewirkt. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. Sie haben das Stück ja schon gesehen und sind sehr einverstanden damit, was wir aus den Gesprächen gemacht haben.

Wie war es für Sie selbst? War es schwer, die Interviews zu führen?

Wenn ich so ein Interview führe, muss ich hoch konzentriert sein, das ist meine größte Herausforderung. Natürlich ist man dabei auch Mensch, aber wie es mir dabei gegangen ist, ist zweitrangig. Ich meine, wir reden hier davon, dass beispielsweise Adile Simsek elf Jahre verdächtigt wurde, einer Täterfamilie anzugehören und da ist die emotionale Betroffenheit noch mal was ganz anderes.

Wie kann man sich den nächsten Schritt vorstellen, das Zusammenstellen und Auswählen der Aussagen?

Dann gilt es eben, nach dramaturgischen Regeln eine nachvollziehbare Geschichte zu entwickeln. Das viele Material zu verdichten, zu verkürzen und die drei Geschichten zusammenzubringen. Also zu entscheiden, an welcher Stelle eine Person berichtet und an welcher alle drei im Wechsel erzählen können, weil sich die Erfahrungen sehr geähnelt haben. Beispielsweise die sehr harten Polizeiverhöre, von denen alle drei Familien sowie später weitere, mit denen ich nicht gesprochen habe, immer wieder berichtet haben.

Es klang ja vorher schon an, aber wie würden Sie es noch mal explizit formulieren, was soll und was kann das Stück bewirken?

Im Juli in München wurde ja das Gerichtsurteil gesprochen, und es ist eben auch wichtig, mit dem Stück zu sagen, dass deshalb kein Schlussstrich gezogen ist. Gerade weil es in München viele Dinge gab, die nicht aufgeklärt und nicht zum Gegenstand des Prozesses gemacht worden sind. Für mich heißt das, die Aufklärungsarbeit weiterzuführen und der Perspektive der Betroffenen weiterhin eine Bühne zu geben. Vor dem Hintergrund des Rechtsrucks in einigen Teilen dieser Gesellschaft, Stichwort Chemnitz, ist es natürlich wichtig, das Stück auch unter dem Aspekt zu sehen, dass es Rassismus nicht nur bei Neonazis, nicht nur bei Rechtsterroristen wie der NSU gibt, sondern er bis in die Mitte der Gesellschaft reicht. Der Verfassungsschutz ist ja im Moment auch ein Thema, also die zweifelhafte Kommentierung von Hans-Georg Maaßen. Ich glaube, deshalb ist es leider auch ein sehr aktuelles Stück.

Es erzählt die Geschichte von Elif Kubasik und Adile Simsek, deren Ehemänner ermordet wurden, sowie von Ismail Yozgat, dessen Sohn in einem Internetcafé hingerichtet wurde. Dabei spielt auch deren Hoffnung auf Aufklärung der Morde eine Rolle. Was hat sich nach Ende des NSU-Prozesses und der Urteilssprechung für Sie geändert?

Als Autor hat sich für mich nichts Grundlegendes geändert. Dass die Urteilsverkündung nicht zu der gewünschten umfassenden Aufklärung führen würde, hatte sich schon abgezeichnet. Auch deshalb machen wir weiter. Und es gibt ja auch positive Signale. Im Laufe der letzten Jahre hat sich beispielsweise eine zivilgesellschaftliche Initiative von etwa 200 Aktivisten entwickelt, die das sogenannte NSU-Tribunal veranstaltet hat. Das fand letztes Jahr im Mai im Schauspiel Köln statt. Es kamen sehr viele engagierte, informierte Personen, die sich mit den NSU-Morden beschäftigt haben, zusammen, um gemeinsam an der Aufklärung zu arbeiten, die in München im Gerichtssaal nicht stattgefunden hat. Die Anklage war sehr umfassend, nahm verschiedenste Institutionen, Akteure und Personen in den Blick, nicht nur die des NSU-Prozesses. Man hat auch mit anderen Akteuren zusammengearbeitet, um jene Beweise und Belege zu sammeln, die das Münchner Gericht hätte zusammentragen können, es aber nicht getan hat. Und man hat den Betroffenen eine Bühne gegeben. Ähnlich, wie wir es machen.

Noch mal ganz konkret zum Stück, das nächste Woche bei uns zu sehen ist. Es gibt ja kein festes Ensemble, sondern besagten Pool, der es erlaubt, das Stück an vielen Orten aufzuführen. Wie finden sich die Schauspieler zusammen und wie funktionieren Proben und Vorbereitung?

Wir schauen, ob es in der jeweiligen Region Schauspieler gibt, die wir anfragen können. Manchmal sind auch neue Mitglieder dabei. Das funktioniert dann über Empfehlung von Leuten, die schon in einem Stück mitgespielt haben. Dahinter steht ein Netzwerkprinzip. Der Vorbereitungsaufwand ist nicht ganz so hoch wie bei anderen Theaterstücken. Es ist ja eine szenische Lesung, was dennoch sehr eindrücklich sein kann. Im Vorfeld und dann am Aufführungstag wird geprobt. Dabei arbeiten wir teils auch über Skype, um die Schauspieler auf ihre Rolle vorzubereiten.

Quelle: Murrhardter Zeitung (15.09.2018) von Christine Schick

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