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„Dorthin, wo das Leben ist“

Zukunftsvisionen für Menschen mit Behinderung und ihre Familien kamen beim  „Inklusionsforum“ des Kreisjugendrings auf den Tisch

Das Interesse war enorm: Mit mehr als 80 Teilnehmerinnen und Teilnehmern war das erste „Inklusionsforum“ des Kreisjugendrings im Feuerwehrhaus in Backnang ein voller Erfolg. Ziele, Wünsche und konkrete Schritte hin zu einer freieren Teilhabe von Menschen mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben wurden gemeinsam entworfen und ausgetauscht. Weitere Foren dieser Art sollen folgen.

Dass die einfachen Bürgerinnen und Bürger ihre Interessen formulieren und Ziele für die Zukunft äußern, das hat  – historisch betrachtet – auch in unserer westlichen Welt noch keine lange Tradition. Gänzlich neu aber ist das freie Wünschen und Planen, wenn es von Bürgerinnen und Bürgern mit Behinderungen und deren Angehörigen kommt. Dass auch sie sich heute zusammentun und ihre Träume, Visionen und konkrete Ideen für die Zukunft formulieren, ist ein Novum. Zu verdanken ist die aktuelle Entwicklung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Dieser im Jahr 2008 in Kraft getretene völkerrechtliche Vertrag bringt nicht nur das neue Fremdwort „Inklusion“ in regen Umlauf, sondern verleiht den Betroffenen und ihren Angehörigen neuen Mut und neuen Auftrieb. Viel von diesem frischen Wind war beim ersten so genannten „Inklusionsforum“ spürbar, das der Kreisjugendring in Backnang organisierte. Zum Vorschein kam dort vor allem die überragende Kompetenz der betroffenen Familien in allen Fragen rund um das Thema Inklusion.

An einem Freitagabend, während andere die Woche gemütlich ausklingen ließen, machten sich Jugendliche mit Behinderung zusammen mit ihren Müttern, Vätern, Geschwistern und Mitarbeitern aus der Behindertenhilfe mit großem Einsatz und Engagement an die Zukunfts-Arbeit. In mehreren Gruppen gingen sie an runden Tischen der Frage nach, wie Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft, in ihre Stadt und ins alltägliche Leben besser eingebunden werden können.
Zu den Themenbereichen „Mobilität“, „Freizeit“ und „Arbeit“ sammelten sie nicht nur vorhandene Problemanzeigen, sondern entwarfen auch Wünsche und Visionen. Das Konzept der Veranstaltung entsprach sowohl den Interessen der Gäste, als auch den Anliegen der „Aktion Mensch“, die den Kreisjugendring maßgeblich fördert.

„Ganz zentral für Menschen mit Behinderung ist das Thema Mobilität“, erklärte Rollstuhlfahrer Simon Maier, der beim Kreisjugendring das Projekt Abenteuer Inklusion leitet und das erste „Inklusionsforum“ mitorganisiert hatte. „Man muss erstmal wegkommen von Daheim, dorthin, wo das Leben ist“. Wie schwierig sich das Fortbewegen oft gestaltet, wurde beim Blick auf die vollgeschriebenen Plakate auf den Tischen schnell deutlich: „Bordsteine zu hoch“, „Pflastersteine!“, „defekte Aufzüge“, „zu wenig Ruhebänke“… Die Liste der Handicaps für die Menschen mit Handicap ist lang. Auch KJR- Projektleiterin Elke Tigli, die beim Gehen auf einen Rollator angewiesen ist, könnte davon ein Lied singen. Die junge Frau zog es allerdings vor, einen Kurzfilm zur Thematik  zu machen, der zusammen mit weiteren Clips beim Inklusionsforum gezeigt wurde.
„Die Beschreibung der Problemlagen ist eine Sache – aber dabei wollen wir nicht stehen bleiben“, erklärte Elke Tigli, Mitorganisatorin des Inklusionsforums. „Beim gemeinsamen Sinnieren entstehen immer auch gute Ideen, Gedankenspiele und konstruktive Vorschläge für neue Alternativen“. Tatsächlich zeigten sich die Beteiligten am Inklusionsforum am Ende sehr kreativ. „Carsharing“ stand da zum Beispiel notiert, oder „Taxi“, „Rikscha“…Einiges klang gut umsetzbar, anderes eher nach ferner Zukunftsmusik.
„Aber alles zusammen ist wichtig und richtig“, meinte Melanie Rautscher, zweite Vorsitzende des Kreisjugendrings. „Entscheidend an diesem Abend ist einzig und allein, dass die Gedanken, Wünsche und Ideen ausgesprochen und festgehalten werden“. So wie etwa die Idee, ein Zertifikat für Firmen, Gaststätten oder Geschäfte zu entwickeln, die sich in vorbildlicher und innovativer Weise um die Mobilität ihrer behinderten Kundschaft verdient machen. Oder der Vorschlag, die vielen „Glastüren-Fallen“ im öffentlichen Raum zu entschärfen, weil sie bei Menschen, die nicht gut sehen können, immer wieder schmerzvoll zuschnappen.

Probleme, so zeigten andere Plakate, gibt es auch im Bereich der Freizeitgestaltung mehr als genug. Kleine und große. Zu den vielleicht eher kleineren, jedenfalls finanziell und handwerklich behebbaren, zählen die technischen Hürden der schönen Freizeitwelt: „Schwimmbäder etwa bergen viele Hindernisse, z.B. die Schwierigkeit, überhaupt ins Becken hineinzukommen. Lifter sind nicht selbstverständlich“, hatte jemand notiert. Oder die Frage: „Wo gibt es in den Ferien ein integratives Waldheim?“, „Minigolf?“, „Fitnessstudio?“. Das alles ist für Jugendliche mit Behinderung nicht selbstverständlich, und wenn, dann nur mit großem Aufwand durch die Familie irgendwie machbar. Zu den größeren Schwierigkeiten in der Freizeit zählen aber wohl die sozialen Kontakte.
Auch Jugendliche mit Behinderung wollen hin und wieder etwas ohne die Eltern unternehmen. Wer aber begleitet sie dann? Eine Mutter brachte das Dilemma so auf den Punkt: “Unsere Jugendlichen wollen nicht, dass wir jemanden mieten, der mit ihnen shoppen geht. Das soll, wie bei anderen auch, eine Clique sein“. Und solche Cliquen, wo die Kids auch selbstverständlich Jugendliche mit Behinderung einschließen, gibt es nach Erfahrung dieser Mutter leider viel zu selten. Eine weitere Mutter pflichtete ihr bei und wünschte sich „dass die Hemmungen der nicht behinderten Menschen abgebaut werden. Die Zirkel derer, die immer unter sich sind, müssen aufgelöst werden“. Es sei, so ergänzte sie, ähnlich wie im Fall der jugendlichen Migranten: „Die sind auch immer unter sich“.

Was könnte man tun? Ein Vorschlag zu besseren Inklusion der Jugendlichen richtete sich aus den Reihen der Teilnehmer an die Jugendhäuser. Die seien oft zwar wunderbar barrierefrei umgebaut, aber es fehle dann an inklusiven Angeboten. Vielleicht könnten ja durch solche Veranstaltungen im Jugendhaus neue Cliquen entstehen? Ähnliche Hoffnungen hegte auch Thomas Wildermuth, der als Vertreter der Elterngruppe zusammen mit Melanie Rautscher die Veranstaltung moderierte. In der Elterngruppe, einem offenen Zusammenschluss von Eltern, deren Kinder unterschiedliche Handicaps mitbringen, sei immer wieder ein Wunsch zu hören: „Es wäre schön, wenn Vereine, Kirchen, Jugendkreise sich einmal öffnen würden“.

Auch im Bereich „Arbeit“ wünschten sich die Teilnehmer an den Tischen vor allem, dass die Jugendlichen im „normalen“ Arbeitsleben dabei sein können – und nicht ausschließlich und nicht automatisch auf Arbeitsplätze in beschützenden Werkstätten angewiesen sind. Dazu aber, so die Erfahrung der Eltern wie auch der Vertreterinnen der Arbeitsagentur, Frau Breitenstein und Frau Berlin, bräuchte man in den Industrie- und Handwerksbetrieben vor allem eins: “Mehr Kollegen mit Geduld“. Auch auf dem Arbeitsmarkt, so war zu hören, müsste man viel mehr tun, um Vorbehalte gegenüber Menschen mit Behinderung abzubauen. Die Ideen in dieser Richtung sind da und sie lagen beim „Inklusionsforum“ reichlich auf dem Tisch: „Führungskräfte entsprechend schulen“, „Die Arbeitgeberverbände als Partner gewinnen“, „Netzwerke schaffen zwischen dem ersten und dem zweiten Arbeitsmarkt“…. Und: „Weitere Inklusionsforen veranstalten!“.

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