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Rems-Murr-Rundschau – Halbwissen und Antisemitismus

Halbwissen und Antisemitismus

Rege Arbeitsatmosphäre beim Workshop „Antisemitismus heute“ innerhalb von „Bunt statt Braun“ im Kulturhaus Schwanen. Foto: Alexandra Palmizi

Schüler arbeiteten über Antisemitismus und Nahostkonflikt / Workshop innerhalb der Reihe „Bunt statt Braun“ im Schwanen

Waiblingen. Man kann nicht gerade sagen, dass „die Juden“ zu den heißen Top-Themen von 14-Jährigen gehören. Die spüren eher nur vom Hörensagen, dass da „was war“. Aber gerade dieses Halbwissen wird dann allzu leicht zum brennbaren Stoff. Umso wichtiger die behutsame Aufklärungsarbeit, die nun bei einem Workshop mit Schülerinnen und Schülern einer 9. Klasse innerhalb von „Bunt statt Braun“ geleistet wurde.

„Die Judenschublade“ hieß der kurze Dokumentarfilm, der den 29 Schülerinnen und Schülern einer 9. Klasse der Max-Eyth-Schule in Backnang einen Einstieg ins Thema Vorurteile, Zuschreibungen und Identität gab. Im Film kommen junge, in Deutschland lebende Juden zu Wort, die deutlich machen, wie sich manche mehr, andere wenig und einige gar nicht über ihr Jüdischsein definieren – und doch immer wieder damit konfrontiert werden. Womit sie ebenfalls unterschiedlich umgehen.

Am spannendsten fanden die Kids das Thema „Identität“

Was also macht die Identität eines Menschen aus? „Wer bin ich und was nicht?“, war die erste Frage, der sich die Kids gemeinsam stellten. Und am Ende fanden die meisten Jugendlichen diesen Aspekt den für sie spannendsten Teil des Workshops. „Weil wir uns da untereinander austauschen konnten.“ Sie erkannten, wie sie selbst sich unterscheiden und doch Gemeinsames mit den anderen haben. Kein schlechter Zugang zum Problem von vorurteilsbelasteten Fremdzuschreibungen, aus denen sich der Antisemitismus immer wieder speist.

Geleitet wurde dieser auf aktive Beteiligung und Gruppenarbeit setzende Workshop von der Bildungsreferentin Rinske Reiding vom Anne-Frank-Zentrum Berlin. Anne Frank war, als sie im Amsterdamer Versteck vor den Nazis ihr berühmtes Tagebuch führte, so alt wie die Workshopteilnehmer; in der Gruppe hatte vorher noch keiner von ihr gehört. Dennoch und obwohl das „Dritte Reich“ und der Nationalsozialismus erst im nächsten Schuljahr Thema werden, war es Fabian Montenegro, Deutsch- und Gemeinschaftskundelehrer der Klasse, wichtig, dass seine Kids schon jetzt die Gelegenheit zu diesem Workshop nutzten. Und er freute sich, dass alle kamen und nicht einer sich „krank“ meldete.

Die Schüler sollten zusammentragen, was sie bisher gehört haben, was so über Juden gesagt wird. Das Ergebnis war, dass scheinbar auch in diesem Alter schon fast alle Stereotype und Dämonisierungen am Kursieren sind: „Dass die Juden die Wirtschaft und Banken beherrschen, dass sie die Muslime auslöschen wollen und dass sie den Holocaust nur ,vorgetäuscht’ hätten.“

Und dann die irritierende Formulierung auf die Frage, warum es heute ihrer Ansicht nach Antisemitismus gebe: „Wegen Hitlers Judenverfolgung und dem Holocaust“! Die Logik dieser unbeholfenen Einordnung, für die die Kinder ja nichts können, ist: Zuerst war die Judenverfolgung, deshalb gibt es heute noch Antisemitismus. Und man weiß leider, dass da – im Bewusstsein vieler – auch noch was dran ist. Es sind solche Sätze und die mit ihnen verbundenen Vorstellungen, die mühsam und immer wieder aufgeklärt werden müssen.

In einer weiteren Arbeitsgruppe setzten sich die Schüler mit Studien und Statistiken zu antisemitischen Einstellungen, Delikten und Äußerungen auseinander. So erfuhren sie etwa, dass auf die Frage, „bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“, annähernd die Hälfte der Befragten in Deutschland 2016 dem „eher bis überwiegend“ (23 Prozent) oder sogar „voll und ganz“ (17 Prozent) zustimmten.

Der Nahost-Konflikt gibt dem Antisemitismus neue Nahrung

Ebenfalls 40 Prozent waren eher oder voll der Ansicht, dass Israel „einen Vernichtungskrieg gegen die Palästinenser“ führe. Es ist der Nahost-Konflikt, der dem Antisemitismus immer neue Nahrung gibt. Und was wissen die Schüler darüber? Auf Kärtchen sammelten sie die Ergebnisse: „Aus den Medien hört man, dass da Krieg ist, weil die sich streiten.“ In Familiengesprächen scheinen „die Juden“ aber überwiegend nicht vorzukommen. „Wir haben da einen Strich hingemacht“ erklärte einer der Schüler, „weil das bei uns kein Thema ist“.

Das könnte ja eigentlich erfreulich sein, gäbe es da nicht die Brandstifter, mit deren Äußerungen sich die Schüler auch beschäftigten. So sagte der Pegida-Vorsitzende Heinz Meyer am Ostermontag 2016, dass in Israel „das größte Konzentrationslager der westlichen Hemisphäre“ stehe. Gefährliches Zündeln am Versuch des respektvollen Umgangs miteinander und an der Geschichte.

Quelle: Waiblinger Kreiszeitung – Thomas Milz,  15.11.2017 – 00:00 Uhr

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